Die Entwicklung digitaler Medien und die daraus resultierenden Chancen für eine Weiterentwicklung computergestützter Verfahren zeitigt weitreichende Folgen auch für die musikwissenschaftliche Grundlagenforschung. Die philologisch arbeitenden Disziplinen profitieren ungemein von den Digitalisierungsvorhaben in Bibliotheken oder haben selbst an solchen Vorhaben ihren Anteil. Und sie haben starke gemeinsame Interessen: Neben Tools zur digitalen Edition sind dies vor allem Schreiber-Erkennung, Papier- und Wasserzeichenforschung sowie Provenienzrecherchen. Das Interesse, über Standards zu diskutieren und die Grundlagen für gemeinsame digitale Standards weiterzuentwickeln ist bei Editionsvorhaben genauso vorhanden wie bei Bibliotheken. Derzeit bereits gegebene Vernetzungsmöglichkeiten werden genutzt und sollten weiter ausgebaut werden; ein Beispiel dafür ist eine übergeordnete Forschungsinfrastruktur, wie sie etwa in Bezug auf Papierforschung das Wasserzeichen-Informationssystem und die Papierhistorischen Sammlungen der DNB zur Verfügung stellen.
Darüber hinaus werden in vielen musikwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen seit Jahrzehnten Daten zu Komponisten und ihren Werken zusammengetragen, seit etwa 2000 erfolgt dies im deutschsprachigen Raum auch per Datenbanken. Vernetzungen dieser Daten sind dabei aber bislang die Ausnahme. Ein Austausch könnte also auch auf dieser Ebene intensiviert werden.
Ein weiterer Aspekt betrifft die in den letzten Jahren entwickelten Methoden der Auswertung strukturierter Daten. Auch wenn sie im Bereich der Musikwissenschaft quantitativ wohl noch nicht unter den Begriff „Big Data“ fallen, so stellen diese Daten einen Fundus dar, welcher mit Hilfe vieler, in verschiedenen Projekten unter dem Label Digital Humanities laufender Methoden einer Auswertung harrt. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine stärkere Vernetzung.
In der Bach-Forschung sind engmaschige Untersuchungen zur Überlieferung jedes einzelnen Musikwerks seit langem ein essentieller Bestandteil, denn viele Werke J. S. Bachs sind weder autograph überliefert noch genau zu datieren. Dies hat zur Folge, dass ein großer Teil der Untersuchungen von Bach-Quellen Handschriften des gesamten 18. und frühen 19. Jahrhunderts betreffen müssen. Sie stammen von oft unbekannten Schreibern mit unklarer Provenienz. Ihren Bezug zu verschollenen originalen Quellen zu ermitteln, ist damit seit den 1950er Jahren – angestoßen und betrieben durch die Arbeit an der Neuen Bach-Ausgabe – ein essentieller Bestandteil der Bach-Forschung. Diese hat sich so auf einigen Feldern zu einem Vorreiter in der paläographisch und philologisch orientierten Quellenforschung entwickelt. Die entsprechenden Erkenntnisse wurden in den Kritischen Berichten dieser Gesamtausgabe ausgewertet; mit Blick auf die gesamte Bach-Familie darüber hinaus in gedruckten Katalogen über einzelne Quellenbestände, vor allem in den Leipziger Beiträgen zur Bach-Forschung: Brüsseler Bibliotheken (1997), Singakademie zu Berlin (2005), Wien und ‚Alt-Österreich‘ (2011). Sowohl das Wissen als auch die Methoden wurden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ebenfalls für Forschungen zu anderen Komponisten nachgenutzt. Durch diese Impulse konnten wiederum auch für die Bach-Überlieferung Erkenntnisse gewonnen werden. So haben beispielsweise durch die Recherchen zu Berliner Überlieferungskreisen, namentlich der Singakademie, gerade auch die Gesamtausgaben zu den Söhnen Bachs sehr profitiert.
Um die Fülle der auf viele Kritische Berichte und andere Publikationen verteilten Forschungsergebnisse strukturiert recherchierbar zu machen, wurde 1999 in Göttingen am dortigen Johann Sebastian Bach-Institut die Bach-Quellen-Datenbank erstellt (seit 2001 als bach.gwdg.de online, Blanken 2002), die 2010 in das Portal Bach digital integriert wurde, das nunmehr nicht allein Informationen zu den Werken und ihren Quellen bietet, sondern auch hochauflösende Digitalisate der Handschriften selbst. Seit einigen Jahren werden sukzessive auch Daten / Digitalisate zu den Werken weiterer Komponisten der Bach-Familie berücksichtigt (Alt-Bachisches Archiv, Carl Philipp Emanuel, Wilhelm Friedemann und Johann Christoph Friedrich Bach), so dass bach-digital.de mittlerweile eine Datenbank zur gesamten Bach-Familie ist, mit derzeit knapp 7800 Quellen-, 3500 Werk-Datensätzen sowie 1750 Digitalisaten. Durch die Zusammenschau von Quellen und die Möglichkeit des strukturierten Zugriffs auf die hierzu gehörenden Informationen wird eine immer neue Beschäftigung mit den Werken der Bach-Familie herausgefordert.
Bach digital versteht sich dabei als ein Work in Progress, das es täglich weiterzuentwickeln und mit neuen Inhalten zu befüllen gilt. Dafür werden Anregungen von Nutzern und auch die aktive Mitarbeit einzelner externer registrierter Nutzer in Anspruch genommen. Die Zugriffsstatistik zeigt, dass Bach digital auch international sehr gut angenommen wird. Derzeit wird daher mittels mehrsprachiger Datenvorhaltung (Teilübersetzungen in Englisch, Japanisch und Französisch) gerade die internationale Ausrichtung gestärkt. Über die Bestände der drei derzeitigen Kooperationspartner Bach-Archiv Leipzig, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und das Rechenzentrum der Universität Leipzig hinaus ist es nun das Ziel, die Zahl der Bibliothekspartner zu erhöhen, um den Zugang zu den weltweit verstreuten Quellen zu erleichtern. Neben etlichen kleineren Sammlungen in Deutschland sind dies u. a. auch die British Library und die Library of Congress, die zugesagt haben, digitalisierte Bach-Quellen über Bach digital zur allgemeinen Verfügung zu stellen.
Die seit 16 Jahren ununterbrochene und tägliche Arbeit an einer open source-basierten Datenbank (Blanken et al. 2015) und ihre technische wie inhaltliche Weiterentwicklung sind nun an einem Punkt, da richtungweisende Entscheidungen zum Ausbau, aber auch zur Vernetzung mit anderen Projekten anstehen. Der Grundbestand der Daten von bach-digital.de ist jederzeit für andere Projekte nachnutzbar. Diese ganz oder teilweise erfolgende Überführung von Daten in andere Datenbanken hat Konsequenzen, über die grundsätzlich zu sprechen ist.
Hier nun sollen Erfahrungen, Perspektiven und Wünsche anderer und eventuell vergleichbarer Datenbanken oder Digitalisierungsprojekte einbezogen werden.
Fragen / Probleme für die Zukunft von Datenbanken musikalischer Quellen
Ausschöpfung des Potenzials der Gemeinsamen Normdatei (GND) für die
Provenienz-Forschung (Dokumentation historischer Musiksammlungen, Digitalisierung von Besitz- oder Auktionskatalogen, Geo-Referenzierung etc.
Vernetzung mit anderen Projekten, externe Nutzung dieser Daten)