In der neueren deutschen Literatur steht Stefan George (1868-1933) wie kein anderer für die außergewöhnliche Beschäftigung eines Autors mit bzw. für die Verwendung von Typografie. Ab 1904 werden seine Werke in Stefan-George-Schrift (St-G) gedruckt. Der Formenkanon der serifenlosen Type basiert auf Georges Buchschrift1 sowie auf der Akzidenz-Grotesk der Schriftgießerei Berthold und zeigt zudem Einflüsse historischer Schriften wie der Unziale und der karolingischen Minuskel. Bis zu der vom Dichter autorisierten Gesamt-Ausgabe der Werke (1927-1934) entwickelt sich das Typenrepertoire der Schriftart, sodass die St-G-Schrift nicht in einer, sondern in mehreren Fassungen vorliegt.
Eine serifenlose Schrift inmitten der in Deutschland tobenden Antiqua-Fraktur Debatte zu verwenden, ihr Design an der eigenen Handschrift zu orientieren und gleichzeitig auf historische Vorbilder zu referieren – lediglich ausschnitthaft verdeutlichen diese Aspekte die große Relevanz von Typografie für Georges Werk. Umso verwunderlicher ist es, dass bisherige Editionen2 keine tiefentypografische Analyse der Drucke vornehmen. Die Abhandlungen der einschlägigen Forschung zur Gestaltung und Genese der Type sowie zu ihrer Verwendung und Wirkung sind dementsprechend dürftig. Daher ist das Ziel des Projekts Stefan George Digital (StGD) die erstmalige Edition der Drucküberlieferung der Georgeschen Lyrik, wobei der Schwerpunkt auf der Erschließung typografischer Formen mittels eines semantischen Modells liegt.3
Das Editionskorpus StGDs besteht aus 29 Druckausgaben der insgesamt 11 lyrischen Werke4 Georges, in denen die Anwendung und die Entwicklung der typografischen Gestaltung sichtbar werden. Die digitalen Volltexte werden größtenteils aus bestehenden Repositorien (z. B. Deutsches Textarchiv und TextGrid Repository) semi-automatisch in ein projektspezifisches XML/TEI Schema konvertiert. Da der Schwerpunkt der Edition auf der buchwissenschaftlichen Erschließung des Materials liegt, werden die Daten entsprechend mit Metadaten (z. B. FRBR, METS) angereichert. Schließlich werden digitale Faksimiles, vereinzelt aus bestehenden Repositorien (z. B. ULB Düsseldorf), größtenteils jedoch erstmalig hochauflösend digitalisiert, auf einen IIIF basierten Imageserver mit angepassten Viewern (Open Seadragon, Mirador) in die Edition integriert. Die digitalen Bilder werden sowohl parallel zum edierten Text als auch separat typografisch annotiert. Während die Ebenen der Meso- (Schrift in der Fläche), Makro- (Organisation von Schrift) und Paratypografie (Materialität und Technik) im Rahmen der digitalen Edition weitestgehend mit bestehenden Datenmodellen erfasst werden können, wird das Modell zur Erschließung der Mikrotypografie (Formausstattungsmerkmale) erst im Rahmen des Projekts entwickelt (zu den typografischen Ebenen vgl. Stöckl 2004).
Die Modellierung der typografischen Detailformen erfolgt in Form einer Ontologie, welche ihre eindeutige Identifikation, formalisierte Beschreibung und Zitation ermöglicht. Damit wird eine netzwerkartige Erschließung und Verknüpfung unterschiedlicher Aspekte und Charakteristika von Schrift unternommen, welche sowohl für Mensch als auch für Maschine interpretierbar sind. Die Technologien des Semantic Web zur Wissensrepräsentation in Thesauri (SKOS), Klassenmodelle (RDFs) und Ontologien (OWL) können dafür ebenso verwendet werden wie Methoden der Daten- und Softwaremodellierung (UML).
Sowohl die Digitale Edition als auch die Ontologie zur Beschreibung von Typografie werden unter CC BY-SA Lizenz auf der GAMS, der technischen Infrastruktur des Grazer Zentrums für Informationsmodellierung, bereitgestellt.
Das Projekt ist vorrangig für die digitale Editorik relevant, die seit geraumer Zeit verstärkt auch die Materialität von Dokumenten zu erschließen versucht. Statt den Weg der Abbildung von Schrift mittels Faksimiles oder ihrer Rekonstruktion im Rahmen der Transkription (z. B. Schriftfaksimile ) zu gehen, wählt das Projekt die formale Modellierung und macht die Informationen so analysierbar. In diesem Zusammenhang trägt StGD auch zur Bildung einer 5 noch kaum bestehenden Digitalen Buchwissenschaft und Typenkunde bei, für welche der Ansatz der semantischen Modellierung von Typenformen ebenfalls neu ist.6
Schließlich kann das StGD auch als exemplarisch für den Einsatz und Umgang mit projektspezifischen Datenmodellen gelten. Um die Ontologie für die breitere Forschungscommunity nutzbar zu gestalten, wird die Übertragbarkeit des Modells auf verschiedene Arten von Typen, wie beispielsweise bewegliche Lettern und frühneuzeitliche Typen, getestet. Außerdem ist der Versuch eines mappings des Modells auf Handschriften in Zusammenarbeit mit DigiPal vorgesehen.
Neben einer Gesamtpräsentation des Projekts StGD, wird das Poster vorrangig drei aktuelle Herausforderungen illustrieren: