Eine musikwissenschaftliche Edition in virtueller Umgebung: Die Einbindung der Anton Webern-Gesamtausgabe in SALSAH

Münnich, Stefan
Universität Basel, Schweiz
stefan.muennich@unibas.ch

Inhalt

1. Zusammenfassung

Die virtuelle Forschungsplattform SALSAH ( System for Annotation and Linkage of Sources in Arts and Humanities) ermöglicht sowohl die Erzeugung, Bearbeitung und Verknüpfung von Daten und Inhalten als auch deren Präsentation in ein und derselben Umgebung. Ihre hierarchisierbare Datenmodellierung begünstigt die Herausbildung eines 'semantic web' aus digitalen Objekten mit ihren jeweiligen Annotationen und Verknüpfungen. Die an der Universität Basel ansässige Anton Webern-Gesamtausgabe nutzt diesen Ansatz für ihre historisch-kritische Edition des musikalischen Werks Anton Weberns gleich mehrfach: als Quellenarchiv, als Dokumentationsdatenbank sowie als editionspraktisches Arbeitswerkzeug. Die Posterpräsentation soll die strukturelle Konzeption für die Einbindung einer (musik-)wissenschaftlichen Edition in eine solche virtuelle Forschungsumgebung veranschaulichen.

2. Die virtuelle Forschungsumgebung SALSAH

SALSAH wurde vom Digital Humanities Lab der Universität Basel ursprünglich im Zusammenhang mit einem kunsthistorischen Projekt (Kunsthistorisches Seminar der Universität Basel / Digital Humanities Lab der Universität Basel ) entwickelt, hat aber seither das Anwendungsspektrum auf andere geisteswissenschaftliche Disziplinen, so auch die Musikwissenschaft, erweitert. Als rein auf Internettechnologien basierende Forschungsumgebung unterstützt SALSAH eine standortunabhängige, interdisziplinäre Kollaboration von Forschenden bei der Arbeit mit und an digitalen Quellenbeständen. Über ein via Webbrowser zugängliches grafisches Benutzerinterface erfolgt dabei eine Anreicherung des Quellenmaterials mit Informationen (Annotationen), wie z. B. Quellenbeschreibungen, Transkriptionen, Literaturverweise u. ä., sowie deren Verknüpfung untereinander; auch externe (über das Internet erreich- und referenzierbare) Quellenbestände können hier eingebunden und auf gleiche Weise annotiert und verknüpft werden. Ein mehrgliedriges Berechtigungskonzept erlaubt zudem die flexible Verwaltung von Benutzerzugangsrechten für jede einzelne Annotation.

3. Erstellung einer musikwissenschaftlichen (Teil-)Edition in SALSAH

Die Webern-Gesamtausgabe verwendet diese Funktionalitäten von SALSAH in mehrfacher Weise: Zum einen als internes digitales Quellenarchiv, das nach der Sequenzierung von über 3600 hochauflösenden Einzeldigitalisaten das virtuelle Quellenmaterial in der Originalreihenfolge der realen Konvolute für die Editoren jederzeit zugänglich macht. Darüber hinaus fungiert SALSAH hier als Dokumentationsinstrument, in dem Informationen zu biographischen und chronologischen Hintergründen, zu Ergänzungsmaterialien wie Briefen oder Tagebüchern sowie zusätzliche Werkinformationen und Quellenlisten aufgenommen und für die weitere Forschung öffentlich und kostenfrei zugänglich bereitgestellt werden. Neben der Funktion als Datenbank und Archiv hat SALSAH aber vor allem eine wichtige Rolle als Arbeitsinstrument für die direkte editorische Arbeit der Webern-Gesamtausgabe, die hybrid konzipiert ist mit einem Print- (gedruckte Notenbände) und einem Online-Anteil (digital publizierte, transkribierte Notentexte und Textmaterialien, vor allem die Kritischen Berichte). Letzterer benötigt ein ausgefeiltes Strukturmodell, das die unterschiedlichen Teilabschnitte der Edition als digitale (Unter-)Objekte anlegt, hierarchisierbar verknüpft und in semantische Beziehungen zueinander setzt. So sind zum Beispiel der edierte Notentext und der Kritische Bericht Teilobjekte des Hauptobjekts Edition, während Einleitung / Entstehungsgeschichte, Quellenübersicht, -beschreibung und -bewertung sowie Textkritische Anmerkungen wiederum Teilobjekte des Objekts Kritischer Bericht darstellen (analog zum Aufbau der Druckbände). Besondere Rücksicht gilt dabei den unterschiedlichen textlichen Erscheinungsformen (Fließtext, Listen, tabellarische Darstellungen) der Teilobjekte, die sich in deren strukturellen Eigenschaften widerspiegeln müssen. Letztendlich sollen sämtliche Teilabschnitte des Kritischen Berichts als auch der edierte Notentext direkt innerhalb der virtuellen Forschungsumgebung erzeugt, bearbeitet und publiziert werden können. Ebenso muss eine in ihrer Reihenfolge der Teilobjekte festlegbare Konvertierung in verschiedene Ausgabeformate (z. B. für eine daraus zu erstellende Druckfassung des Kritischen Berichts) möglich sein.

Die Einbindung der Gesamtausgabe in eine solche virtuelle Forschungsumgebung dient somit nicht nur dem Selbstzweck oder einer bloßen Präsentation von (retro-)digitalisiertem Quellenmaterial, sie bringt genuin digital erzeugtes, frei verknüpfbares Forschungswissen hervor, und bildet somit einen vollgültigen Teilbereich des Editionsprojekts.

Appendix A

Bibliographie
  1. Kunsthistorisches Seminar der Universität Basel / Digital Humanities Lab der Universität Basel (o. J.): Die Bilderfolgen der Basler Frühdrucke: Spätmittelalterliche Didaxe als Bild-Text-Lektüre http://www.salsah.org/incunabula [letzter Zugriff 15. Februar 2016].
  2. Rosenthaler, Lukas / Schweizer, Tobias (2012): "SALSAH – eine webbasierte Forschungsplattform für die Geisteswissenschaften", in: SAGW Bulletin Januar 32-33.
  3. Schingnitz, Barbara / Schweizer, Tobias: "SALSAH in der Nutzung durch die Anton Webern-Gesamtausgabe", in: Ahrend, Thomas / Schmidt, Matthias (eds.) (in Vorbereitung): Webern-Studien. 3: Webern-Philologien.
  4. Schweizer, Tobias / Rosenthaler, Lukas (2011): "SALSAH – eine virtuelle Forschungsumgebung für die Geisteswissenschaften", in: EVA Konferenz 2011 Berlin. Elektronische Medien & Kunst, Kultur, Historie, die 18. Berliner Veranstaltung der Internationalen EVA-Serie Electronic Imaging & the Visual Arts 147-153.