Gernika – Visualisierung der Interkonnektivität medialer Öffentlichkeiten in Europa

Loebel, Jens-Martin
Angewandte Medienwissenschaft (Digitale Medien), Universität Bayreuth / bitGilde IT Solutions UG
loebel@bitgilde.de

Holly, Eva Maria
Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
eva.holly@uni-duesseldorf.de

Inhalt

1. Einleitung

Gernika-Lumo ist eine Stadt im spanischen Baskenland und zeichnet sich seit jeher durch seine zentrale kulturhistorische Rolle für die Basken aus. Bis in die Gegenwart trägt Gernika internationale Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund Picassos Antikriegsbild „Guernica“, das er als Reaktion auf die Zerstörung Gernikas am 26. April 1937 durch den Luftangriff der deutschen Legion Condor und italienischer Kampffliegerverbände während des spanischen Bürgerkrieges malte. Die Bombardierung unbefestigter Städte aus der Luft sowie die gezielte Terrorisierung der Zivilbevölkerung stellte zu diesem Zeitpunkt ein Novum dar und entfachte eine heftige öffentliche Debatte in den europäischen Tageszeitungen. Davon ausgehend entstand über die Zeit hinweg bis in die Gegenwart ein komplexes intermediales Geflecht aus wechselseitigen Bezugnahmen und vielseitigen Vernetzungen. Durch den Einsatz verschiedener Medien wurden Kommunikationsräume aufgespannt, die nationale und transnationale Öffentlichkeiten hervorbrachten.

Den Kern des Forschungsvorhabens bilden die Untersuchung und Visualisierung dieser Kommunikationsstrukturen ausgehend von der Berichterstattung ausgewählter Tageszeitungen der Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, um daraus dezidierte Aussagen über die Struktur von Öffentlichkeiten ableiten zu können.

Zwar existieren Arbeiten über Öffentlichkeiten im Kontext des spanischen Bürgerkriegs (Brinkmann 2002) und Presseanalysen zu Gernika (Southworth 1977), allerdings wurden hier andere, zumeist inhaltliche Fragestellungen wie beispielsweise nach den Verantwortlichen, verfolgt. Eine umfassende und präzise Analyse der Beziehungsgeflechte erscheint jedoch erst durch die Zuhilfenahme digitaler Forschungsplattformen möglich, die u. a. eine tiefergehende semantische Analyse der Beziehungen und Anbindung an externe Linked-Open-Data-Ressourcen (LOD) ermöglichen.

2. Beschreibung der Forschungsumgebung

Die Forschungsgrundlage besteht aus einer gescannten Sammlung der Presseberichterstattung überregionaler Tageszeitungen ausgewählter Länder über die Zerstörung Gernikas, die in die virtuelle Forschungsumgebung HyperImage importiert werden. Zeitgleich wird eine erste Codierung der Zeitungsartikel mittels SPSS vorgenommen. Zusammen mit dem derzeit in Entwicklung befindlichen Nachfolgesystem Yenda zur semantischen Erschließung wird das Korpus katalogisiert und semantische Bezüge zu Unterthemen (Topics, wie z. B. der Schuldfrage) hergestellt. In einem nächsten Schritt kann das komplexe Geflecht der unterschiedlichen semantischen Bezugnahmen zwischen den Zeitungsartikeln dargestellt werden (z. B. Berliner Tageblatt bezieht sich auf einen Artikel der Times über Gernika, der sich wiederum auf die Neue Zürcher Zeitung bezieht). Außerdem wird angezeigt zu welchen Topics Bezüge vorliegen.

Konkret erlaubt die Anwendung den Abruf aller Artikel zu Gernika (intern und in LOD-Beständen) nach einem bestimmten Topic, die Darstellung der unterschiedlichen Bezugnahmen zu diesem Topic und die zeitliche Gewichtung wann Bezugnahmen am intensivsten (a) generell; (b) zu bestimmten Topics und (c) zwischen welchen Ländern vorliegen. Zudem können übergeordnete Themen (z. B. die Rolle Europas, vgl. Kaelble 2002), die in allen Topics vertreten sein könnten, als horizontal verlaufende Thematik visualisiert werden.

Yenda erlaubt so die Verfolgung von Diskurskontinuitäten sowie die Modellierung und Visualisierung eines gemeinsamen Bezugsnetzwerkes über die semantische Verknüpfung von Topics. Querbezüge zu anderen Diskursen und Medien werden erfasst und in einer gemeinsamen Umgebung dargestellt. Die Vernetzung erfolgt zum Einen automatisiert über Schlagworte und RDF-Terme und zum Anderen über das manuelle Einpflegen weiterer Referenzen im Zusammenhang mit der SPSS-Codierung der Quelldaten.

HyperImage und Yenda sind Open-Source-Forschungsumgebungen. HyperImage ist als Werkzeug zur Unterstützung des Bilddiskurses in den Digitalen Geisteswissenschaften seit vielen Jahren etabliert und wird in Forschung und Lehre an Forschungseinrichtungen in Deutschland und Europa eingesetzt. Zwischenergebnisse wie endgültige Fassungen können jederzeit als hypermediale online- oder offline-Publikation erstellt werden und sind über standardisierte APIs (wie IIIF) abfrag- und nachnutzbar (Loebel et al. 2014).

Yenda bietet als neues Werkzeug die Möglichkeit zur semantischen Annotation und Analyse von Mixed-Media-Daten auf Basis von RDF sowie des Open Annotation Data Models (OADM) und ist die konsequente Weiterführung des HyperImage-Gedankens.

3. Ergebnisse, Zeitrahmen, Online-Veröffentlichung

Für die historische Forschung ergeben sich durch die digitalen Werkzeuge neue Möglichkeiten, komplexe und weitrechende Vernetzungen in vielen Bereichen aufzuzeigen und diese konkret zu visualisieren. Insbesondere mit Blick auf synchrone und diachrone Vergleiche erlaubt dies die Bildung neuer Theorien und Hypothesen.

So lässt sich beispielsweise ein Vergleich mit Ereignissen in anderen Epochen, wie z. B. Gernika in der Zeit vor 1945 und europäischer Integration mit der Diskurslage um die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre aufstellen, der eine tiefergehende Analyse von gleichsam verwendeten Diskursthemen erlaubt.

Kontinuitäten in diachronen Vergleichen der Berichterstattung können erkannt und die Veränderung kommunikativer Verdichtungen in Bezugnahmen über die Zeit visualisiert werden. Das semantische Netz (RDF-Graph) lässt sich mit Informationen in weiteren Medien und LOD-Ressourcen erweitern. Spannend ist dies auch z. B. für Fragen im Rahmen der Europäischen Integration (Meyer 2010) für Disziplinen wie Geschichts-, Kommunikations-, Politik- und Sprachwissenschaften.

Das Poster wird erste Zwischenergebnisse der Forschungsarbeit sowie das Werkzeug Yenda en Detail vorstellen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse ist für 2017 geplant. Die Forschungsumgebung Yenda wird ab voraussichtlich Frühjahr 2016 unter http://yenda.tools/ als öffentliche Betaversion zur Verfügung stehen.

Appendix A

Bibliographie
  1. Brinkmann, Sören (2002): "Bilder eines Krieges: Europa und der Bürgerkrieg in Spanien", in: Requate, Jörg / Schulze Wessel, Martin (eds.): Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
  2. HyperImage (o. J.): http://hyperimage.ws [letzter Zugriff 15. Februar 2016].
  3. Kaelble, Hartmut (2002): "Das europäische Selbstverständnis und die europäische Öffentlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert", in: Kaelble, Hartmut / Kirsch, Martin / Schmidt-Gernig, Alexander (eds.): Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Campus Verlag 85-110.
  4. Loebel, Jens-Martin / Kuper, Heinz-Günter / Arnold, Matthias / Decker, Eric (2014): "Hachiman Digital Handscrolls – Semantische Anreicherung mit HyperImage und Yenda", in: EVA Konferenz Berlin 2014. Elektronische Medien & Kunst, Kultur und Historie, Berlin: Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 262-267.
  5. Meyer, Jan-Henrik (2010): The European Public Sphere. Media and Transnational Communication in European Integration 1969–1991. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.
  6. Southworth, Herbert R. (1977): Guernica! Guernica! Berkeley / Los Angeles / London: University of California Press.