Das DFG-Projekt Future Publications in den Humanities (Fu-PusH) untersuchte die Potenziale des digitalen Publizierens in den Geisteswissenschaften und erarbeitete anhand von Szenarien Handlungsempfehlungen für akademische Infrastruktureinrichtungen wie insbesondere Universitätsbibliotheken und Rechenzentren, um Publikationsprozesse zu unterstützen und dabei den funktionalen Anforderungen unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen gerecht zu werden.
Auf dem Poster werden zum einen die Ergebnisse der Studie beschrieben und zum anderen ein speziell in diesem Projekt entwickeltes Recherche-Tool zur Auswertung qualitativer Interviews (Statement Finder) vorgestellt, das als niedrigschwelliges Open-Source-Tool der Community zur Verfügung gestellt wird. Abschließend werden eine Reihe von Handlungsempfehlungen formuliert für die an digitalen Publikationsprozessen beteiligten Akteursgruppen, namentlich für geisteswissenschaftliche Fachgemeinschaften darunter insbesondere die Digital-Humanities-Community, für Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken und Rechenzentren, für Wissenschaftsverlage sowie für Förderinstitutionen und für die Wissenschaftspolitik.
Die Ergebnisse des Fu-PusH-Projektes zeigen sehr deutlich die Unterschiede im Forschungs- und Publikationsverhalten sowohl zwischen den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften als auch innerhalb des disziplinären Spektrums der Geisteswissenschaften selbst. Dies betrifft insbesondere die Zurückhaltung gegenüber der Nutzung digitaler Publikationsmedien, auch angesichts ihrer anerkannten Potenziale.
Das Publikationsverhalten in den Geisteswissenschaften orientiert sich nach wie vor weitgehend an traditionellen Formen aus der Printkultur wie Monografien, Sammelbandbeiträge, Zeitschriftenaufsätze sowie Rezensionen. Wo digital publiziert wird, folgt man den etablierten Modellen der Verlagspublikation in einem dem Printparadigma möglichst ähnlichen Format. Hier sind auch perspektivisch nur geringe oder selektive Änderungen und Optimierungen zu erwarten. Die Einbindung von multimedialen Erweiterungen wird auf der Materialebene durch urheberrechtliche Bedingungen und auf der technischen Ebene durch den Mangel an Standards und niedrigschwelligen Lösungen eingeschränkt. Bisher lässt sich am ehesten die Form des Bloggens als dauerhafte zusätzliche Variante für die wissenschaftliche Kommunikation bestimmen.
Das Publizieren nach dem Open-Access-Prinzip scheint in den Geisteswissenschaften geringer ausgeprägt als in den Naturwissenschaften. Dafür lassen sich mehrere Gründe identifizieren. Zum einen fehlen an vielen Stellen bislang fachwissenschaftlich etablierte Infrastrukturen. Zum anderen genießen rein digitale Publikationen nach wie vor keinen guten Ruf, was sich beispielsweise auf die Kreditierung des Forschungsoutputs auswirkt. Schließlich wirkt im Vergleich zu naturwissenschaftlichen Publikationen der Zugangsdruck zu Neuerscheinungen an vielen Stellen durch längere Forschungszeiträume und geringere Kosten weniger stark.
Auffällig ist, dass sich stärker in Schnittstellen mit Naturwissenschaften befindliche und internationalisierte Disziplinen (z. B. Sprachwissenschaften, Archäologie) deutlich aktiver in dieser Richtung entwickeln, als die vorwiegend hermeneutisch-interpretativ arbeitenden Fächer. Eine Nutzung von frei zugänglichen Materialien erfolgt dagegen fächerübergreifend. Es existiert beim Open Access also eine Diskrepanz zwischen Publikations- und Rezeptionsverhalten.
In einigen Bereichen vor allem unter dem Einfluss der Digital Humanities finden sich jedoch auch stärker digital orientierte Entwicklungen. Eine Erklärung lautet, dass viele Formen dieser Wissenschaft überhaupt erst durch digitale Technologien realisierbar werden. Dort wo größere Datenmengen flexibel verarbeitet werden müssen, etwa in der Editionswissenschaft oder der Computerlinguistik, finden sich bereits stärker etablierte Formen der digitalen Forschung und des digitalen Publizierens, die – sehr selektiv – auch auf anderen Fachbereiche inspirierend einwirken. Eine Zwischenform zwischen Publikation und Forschung, der vergleichsweise viel Potential zuerkannt wird, ist das digitale Annotieren. Damit zusammenhängend wird das größte Zukunftspotenzial des digitalen Publizierens im Bereich der digitalen Editionen gesehen, die häufig zugleich als mögliche Hybridausgaben zur differenzierten Rezeption wie auch als digitales Forschungsdatum zur weiteren Verarbeitung gesehen werden.
Die Nutzung von Social-Media-Anwendungen scheint sich in vielen Bereichen der Geisteswissenschaften weitgehend auf die Vernetzung durch soziale Wissenschaftsnetzwerke oder Kurznachrichtendienste (Twitter) zu beschränken. Mit Hypotheses.org etabliert sich allerdings nach und nach eine Blogplattform, die sich durchaus ein gewisses Renommee aufbaut. Das ist insofern der relevante Schritt, weil eine zentrale Hürde bei der Nutzung solcher Medien die bisher fehlende Kreditierbarkeit für wissenschaftliche Karrieren darstellt. Zudem existiert die Sorge, dass frei auf solchen Wegen zum Beispiel vor einer “ordentlichen” Publikation publizierte Ergebnisse von Anderen übernommen und verwertet werden.
Bei vielen Aspekten vernetzter und digitaler Forschung bzw. des interaktiven Publizierens zeigt sich, wie sehr wissenschaftskulturelle Aspekte der Nutzung bestimmter technologischer Formen entgegenstehen. Das betrifft insbesondere den Aspekt der Kollaboration, der Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz virtueller Forschungsumgebungen ist. Hier findet sich nur eine geringe Nutzungsbereitschaft. Es ist zu vermuten, dass sowohl wissenschaftskulturelle Gepflogenheiten als auch eine vergleichsweise komplexe Nutzbarkeit die Akzeptanz und Nutzung solcher Angebote bremsen. Zweckmäßiger erscheinen hier einfache, modularisierte und miteinander verknüpfbare Lösungen.
Herausforderungen werden generell bei Fragen der technischen Standardisierung zur Gewährleistung von Interoperabilität deutlich. Dies betrifft sowohl die Werkzeuge als auch die digitalen Forschungsdaten. Zudem zeigen sich wahrgenommene Risiken, die generell von Technologien im Kontext der Digital Humanities ausgehen. Zum einen liegen bisher kaum Erfahrungswerte vor, mit denen sich eine tatsächliche Relevanzbewertung von Informationsinfrastrukturen bzw. Publikationsszenarien vornehmen lässt. Zum anderen besteht die Gefahr, dass neue technische Dispositive bestimmte Forschungs- und Erkenntnispraxen begünstigen und dafür andere weniger angemessen berücksichtigen.